Besuch der Marburger in Mannheim

Das Leben eines typischen Studenten birgt viele Herausforderungen: Überfüllte Hörsäle, graue Theorie, erhöhter Kugelschreiberverschleiß und, zumindest wenn man des Studiums wegen hinauszieht, eine neue, fremde und ungewohnte Umgebung.

Wie so oft im Leben steckt jedoch hinter jeder Herausforderung auch eine Chance. Und so haben nicht wenige ehemalige Studenten in ihrer neuen Stadt Wurzeln geschlagen, sie liebgewonnen und zur zweiten Heimat erklärt (pathosfreie Leser der Gattung homo oeconomicus mögen sich bitte folgende Alternativbegründung vergegenwärtigen: home is, where the homezone is).

Umso schöner ist es dann, wenn man diese neue Liebe teilen kann. So hat uns die Nachricht besonders gefreut, dass die ISV Marburg unsere Stadt als Ausflugsziel auserkoren hat. Allerdings hat uns dies, bei aller Freude darüber neue Geschwister kennenlernen und empfangen zu dürfen, auch sehr verwundert, da wir uns über den besonderen „Charme“, den Mannheim als typische Arbeiter- und Industriestadt versprüht, durchaus bewusst sind. Was gibt es in Mannheim denn überhaupt Schönes zu sehen? Die Stadt selbst wirbt ja in ihrer eigenen Kampagne „Mannheimtour 2010“, in der u.a. auch die Eindrücke und Lebenserfahrungen zugezogener Mannheimer Bürger gehört werden, mit folgendem Slogan, welches zugleich ein Zitat einer Interviewten darstellt: „Mannheim war für mich keine Stadt, wo spontan eine Liebe da war …“.

Keine spontane Liebe? Für uns keine Option und wir nahmen die Herausforderung an, denn unsere Geschwister kommen von fern und wollen begeistert werden! Und das innerhalb eines halben Tages. So hieß die Devise für uns: Die schönsten Ecken der Stadt, einmal Mannheim bitte!

Nach Ankunft der gut gelaunten Geschwister am Hauptbahnhof und einer kleinen Vorstellungsrunde, begannen wir sogleich mit unserer Mission. „Fun Fact Nummer eins: Wusstet ihr das Mannheim die Stadt an zwei Flüssen genannt wird? Sie wird umschlossen vom Rhein im Süden und Neckar im Norden. Wusstet ihr das Mannheim direkt an der Grenze zu drei Bundesländern liegt? Gleich über die Brücke und ihr seid in Rheinland-Pfalz.“

Mit diesen einleitenden Worten und der Erhebung Mannheims zum Zweistromland, folgte alsdann der Gang zum ersten Besichtigungspunkt und dem Wahrzeichen Mannheims. Nein, das war nicht der Turm zu Babel, sondern Mannheims Wasserturm. Obgleich die wunderschöne dazugehörige Gartenanlage mit ihren farbenreichen Blumenbeeten, die Wasserspiele und die Kaskade ähnlich zum Staunen einluden. Dieser Turm, welcher seit 1889 den Rand der Mannheimer Innenstadt schmückt, erhielt im Sinne der Auftraggeber über seine funktionalen Anforderungen als Wasserturm hinaus, einen besonders ansehnlichen Bau im römischen Monumentalstil, um sich in das architektonisch gehobene Umfeld einzugliedern. Der Architekt Gustav Halmhuber, welcher die Pläne unter dem lateinischen Motto „vita brevis, ars longa“ (zu Deutsch: „Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang(lebig)“) einreichte, sollte Recht behalten. Denn auch ungefähr 5 Generationen nach der Fertigstellung, standen wir alle da und bewunderten fotografierend sein Bauwerk. Sollte die Anzahl geschossener Fotos tatsächlich ein valider Indikator für die Begeisterung einer Reisegruppe darstellen, so wäre diese Herausforderung fürs Erste gemeistert.

Weiter ging es nun in Richtung Paradeplatz über die Planken, die altbekannte Einkaufsstraße in der Innenstadt Mannheims. Hier überbrachten wir sogleich Fun Fact Nummer zwei: „Wusstet ihr, dass das Spaghettieis hier in diesem Eiscafé  von Mario Fontanella erfunden wurde? Leider hatte er seine Erfindung aufgrund der Patentgebühren von damals 900 DM nicht schützen lassen, was ihn vermutlich um viel Geld gebracht hat.“ Nein sie wussten es nicht. Woher auch?

Jedoch fiel der Marburger Gruppe während dem Spaziergang durch die Innenstadt die seltsame Bezeichnung der Straßennamen auf, worauf sogleich Fun Fact Nummer drei folgte: „Mannheims Innenstadt ist in sogenannte Quadrate aufgeteilt. Jedes Quadrat erhält, ähnlich einem Schachbrett, einen Buchstaben und eine Zahl anstatt eines regulären Straßennamens. F1, B2, H6, so heißen unsere Straßen.“

Um eine Erfahrung reicher setzten wir den Weg zum Mannheimer Schloss fort, welches zugleich auch als Universität fungiert. Dort angekommen ließen es sich die Brüder und Schwestern nicht nehmen, auch die einzelnen, mit wunderschönem Stuck verzierten Vorlesungssäle zu besichtigen, welche in ferner Vergangenheit den Damen und Rittern des Hauses als Unterkunft dienten. Doch so viele Saaltüren sie auch öffneten, es ist ihnen leider kein Ritter begegnet. „Wie kann das sein, dass eure Universität euch solch gut ausgestatteten Hörsäle zu Verfügung stellen kann?“, fragten manche Geschwister verdutzt. Mit einem Hinweis auf die Raumbezeichnungstafeln der Säle, welche allesamt mit klangvollen Namen gönnerhaften Unternehmen und Privatpersonen geschmückt sind, haben wir die Frage beantwortet. „Hier möchte ich auch studieren!“, hörten wir oft.

Auch die neu renovierte Bibliothek und die imposant ausgestattete Schlosskirche veranlassten zu manchem Staunen und wir freuten uns sehr, dass einige Geschwister aus Marburg schon Pläne für ihr weiterführendes Studium schmiedeten. Ja, keine Sorge, man kann sich trotz der schönen Aussicht aus der Bibliothek auf den Vorhof des Schlosses und die Innenstadt sehr gut konzentrieren. Ihr seid alle herzlich willkommen es auszuprobieren!

Vom Schloss aus ging es dann weiter zur Jesuitenkirche, wo einst Wolfgang Amadeus Mozart während seiner Aufenthalte in Mannheim spielte.  Wie es der Zufall wollte, fand gerade eine Trauung statt und ein freundlicher Kirchenmann lud uns ein der Zeremonie beizuwohnen. Wir verweilten für eine kurze Zeit, bestaunten die zahlreichen barocken Kunstwerke und Marmorpilaster und gingen dann mit diesen Eindrücken davon in Richtung Marktplatz.

Im Bereich des Marktplatzes haben sich über die Jahre zahlreiche türkische Geschäfte etabliert. Man findet hier von Restaurants über Bäckereien, Brautausstatter und Friseurgeschäften alles, was das Herz begehrt.  Hier manifestiert sich Mannheims vielfältige Identität und es scheint so, als läuft hier alles ein wenig anders als sonstwo. Der Geruch von Grillfleisch liegt in der Luft, abwechselnd mit dem Duft frischer Baklava und fruchtigem Pfeifentabak strömt ein Eindruck nach dem nächsten auf uns, oder besser gesagt in uns ein. „Es erinnert mich hier an Bascarsı in Sarajevo!“, hörten wir eine Schwester sagen. Es gibt viel Verkehr und die Bordsteine scheinen den eng parkenden Autos und den Menschen, die sich aneinander vorbeischieben, nicht gewachsen zu sein. „Es ist ein bisschen Heimatgefühl!“, kommentierte ein Bruder und ähnlich reagierten auch die anderen Geschwister, als sie die im Volksmund genannten „Ü-Quadrate“ betraten. So kommen wir doch unserem ursprünglichen Ziel, der spontanen Stadtliebe ein großes Stück näher, besonders da in Mannheim diese Vielfalt von den Bürgern sehr geschätzt wird und das Miteinander erfahrungsgemäß sehr harmonisch verläuft! Im berühmten Restaurant Istanbul ließen wir die erste Etappe ausklingen und stärkten uns mit köstlichen Grillspezialitäten für den weiteren Tagesverlauf.

Nachdem die Geschwister sich in Gruppen aufteilten und die Stadt auf eigene Faust erkundeten, stand das eigentliche Ziel der Reise, die Yavuz Sultan Selim Moschee, als Nächstes auf dem Plan. Diese 1995 fertiggestellte Moschee galt mit ihrer Besucherkapazität von 2500 Menschen bis vor einigen Jahren als die größte Moschee Deutschlands. In direkter und harmonischer Nachbarschaft zur katholischen Liebfrauenkirche, stellt sie eine der wenigen repräsentativen Gebetshäuser für Muslime in Deutschland dar. Die guten Beziehungen, welche die Religionen in Mannheim pflegen, verdeutlicht sich unter anderem auch dadurch, dass der zentrale Kronleuchter welcher die Moschee schmückt, ein Geschenk der christlichen und jüdischen Gemeinden war. Vielleicht sind diese Harmonie und der gegenseitige Respekt ursächliche Gründe für das gute Miteinander in Mannheim. Dies spürten auch unsere Geschwister aus Marburg: „Man fühlt sich nicht fremd hier in dieser Stadt. Man lebt sich sofort ein. Ich fühle mich wohl hier“, bekamen wir spontan zu hören.

Wir sind als Muslime und Bürger sehr froh, in einer offenen und vielseitigen Stadt wie Mannheim leben zu können! Es scheint also zusammenfassend so, als sei es uns mit Hilfe unserer liebgewonnenen Stadt tatsächlich gelungen, in dieser kurzen Zeit unseren Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Es hat uns sehr gefreut, dass ihr hier wart und inscha’Allah auf ein baldiges Wiedersehen!